Die Investmentbranche erlebt gerade eine Massenflucht aus Fondsprodukten – was bedeutet das für Anleger*innen?
1) Geld ist ein flüchtiges Reh … je unsicherer die Nachrichten, desto schneller flüchtet es in (scheinbar) sichere Häfen, da hört man nicht nur Gold, sondern auch das Kopfkissen. Die Angst, nicht an das Geld heran zu kommen oder Geld zu verlieren ist groß.
2) Meine lange Erfahrung zeigt, dass – fachlich betrachtet – Investmentfonds zwar tolle Produkte sind für alle möglichen Anlageziele, dass Anleger*innen sie aber (bisher) nicht verstehen. Woran liegt das? In erster Linie an fehlendem Wissen über Wirtschaft und Anlage, in zweiter Linie daran, dass Anbieter bisher wenig Interesse daran haben, aufzuklären. Hauptsache es klappt, das Produkt zu verkaufen, verstehen muss der Kunde das nicht.
Diese Haltung schadet der Anlegertreue: Wenn Anleger*innen nicht wissen, warum sie einen Fonds besitzen und wie er funktioniert, können sie auch nicht einschätzen, wie sehr er jetzt in einer Krise gefährdet ist. Und folgen nur dem Bauch.
3) Die inzwischen vorgeschriebenen Schritte zur Beratung von Kunden finden pro forma statt, aber bleiben in der Praxis oft inhaltsleer. Ergänzende „Schulungen“ über die wesentlichen Aspekte der Geldanlage fehlen, Berater und Unternehmen setzen vor allem auf Vertrieb und Marketing. Sicher nicht jeder ist als Referent*in geboren und der Erfolg von Workshops oder Seminaren erscheint erst auf den zweiten Blick.
4) Das riesige Angebot von Fonds in Deutschland könnte schrumpfen, durch die Anlegerflucht sinken die Einnahmen der Anbieter, was zu einer Konsolidierung von Produkten, Personal und Unternehmen führen dürfte. A la longue könnte das für Verbraucher*innen aber auch ein Vorteil sein, wenn mehr Klasse als Masse übrig bliebe.
5) Die Erfahrung aus den bisherigen Crashs meines Berufslebens haben gezeigt, es geht (irgendwann) wieder aufwärts. Das macht gelassener. Aktuell finden sich viele Anleger*innen, die dem Trend nach „do it yourself“ folgten, häufig ohne strategischen Ansatz in Anlageprodukte investierten und dem (scheinbar) leicht verdienten Geld verfielen. 10 Jahre aufwärts bleiben nicht ohne Folgen, viele fragen sich: „Alle verdienen Geld, die an der Börse aktiv sind, warum nicht ich?“ und machen einfach mit.
Man kennt das Warnsignal der „Milchmädchen“ (die es heute nicht mehr gibt: wenn sie anfangen zu investieren, wird es Zeit vorsichtig zu sein. Oder „die zittrigen Hände“ – frei nach André Kostolany*, einem der erfahrensten und erfolgreichsten Börsenspekulanten -, die als erste die Nerven verlieren
Jetzt erleben – für meinen Geschmack zu viele – Anleger*innen, dass Kurse eben auch mal rasant die Richtung wechseln und was verlieren bedeutet.
6) Unreflektierte Werbung für ETF-Investment & Co. statt strategischer, mit Wissen unterlegter Geldanlage, könnte wieder einmal der privaten Vermögensbildung geschadet haben. Wenn – wie schon nach der Telekom Aktie – Normalsparer erleben, wie ihr sauer verdientes oder gerade ererbtes Geld vernichtet wird, weil grundsätzliche Regeln der Geldanlage eben beim Produktverkauf oft keine Rolle spielen, dauert es wieder Jahre, bis neues Vertrauen aufgebaut ist. Das wäre schade und verheerend für die private Altersvorsorge.
7) Daher: Stoppt die Fondsflucht! Schauen Sie, ob ihre Anlagen zu Ihrer persönlichen Situation passen oder nicht. Folgen Sie keinen kurzfristigen, kopflosen Tipps oder Angeboten, zum Beispiel zum Verkauf von Anlagen. Wenn die Strategie stimmt, bleiben Sie investiert! Oder Beispiel Lebensversicherungen: Ohne eine Freundin dieser Anlageform zu sein, ein Verkauf von vielleicht noch gut verzinslichen alten Verträgen – die außerdem den Todesfall absichern – dürfte meist keine gute Idee sein. Außer für den Käufer. Wenn die Prämie aktuell den Geldbeutel belastet, stellen Sie den Vertrag beitragsfrei und nehmen die Zahlung wieder auf, wenn es jobmäßig besser geht.
Bei Anlagen kommt es erst in zweiter Linie auf die einzelnen Produkte an, viel wichtiger sind die individuellen Ziele und Voraussetzungen. Wenn weniger Geld zur Verfügung steht, stoppen Sie Sparraten, behalten Sie aber den Bestand. Wenn es geht, kaufen Sie eher nach und verbilligen Sie Ihre bisherigen Einkaufskurse. Prüfen Sie, ob der Mix zwischen den verschiedenen Fonds stimmt oder passen Sie an. Ein Verkauf und späterer Einstieg – das so genannte timing – gelingt praktisch nie, außer zufällig. Im schlimmsten Fall bleiben Sie zu lange gar nicht investiert. Behalten Sie langfristige Ziele im Auge!
© Text und Foto, eigene Recherche, Renate Kewenig, Finanzbilderin, Finanzverstand® / * verstorben 1999 mit 93 Jahren